Ev.-Lutherische Christus-Kirchengemeinde Hagen

Radiogottesdienst Lätare 02. März 2008

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!
Morgens früh um 7.00 Uhr. Der Wecker klingelt. Einmal kurz strecken und recken und dann aufstehen. Ist es dunkler als sonst im Zimmer? – aua, den kleinen Zeh am Bettpfosten gestoßen.
Nach dem duschen noch einen Kaffee und einen kurzen Blick in die Zeitung. Die volle Tasse eher nebenbei zum Munde geführt – dabei schwappt sie und platsch – einige Kaffeespritzer verteilen sich nicht nur über das frisch angezogene Hemd, sondern auch auf die Lieblingskrawatte.
Schnell ins Schlafzimmer – neues Hemd anziehen, andere Krawatte raussuchen. Verdammt, jetzt ist es schon spät und es wird wieder eng, einen
Parkplatz zu finden.
Kurz vor dem Ziel versperrt der Müllwagen den Weg – die kommen doch sonst immer später. Wieder wertvolle Minuten verloren. Und dann wie erwartet – die Parkplätze neben dem Bürogebäude sind belegt, eine Viertelstunde das Gebiet abgefahren, um endlich einen weit entfernt liegenden Parkplatz zu finden.
In der Eile zuhause keinen Schirm mitgenommen, obwohl schon drohend dunkle Wolken am Himmel zu erahnen waren. Vielleicht klappt es ja noch – da geht es schon los.
Endlich – wenn auch etwas feucht geworden – den Schreibtisch erreicht. Dort liegt schon ein Schreiben der Vorstandsetage, dass die in den letzten Monaten so häufigen Überstunden generell nicht mehr ausbezahlt, sondern abgefeiert werden sollen. Ja wie denn – wenn immer so viel anfällt?! Die da oben machen es sich verdammt leicht – und dass, obwohl man das Überstundengeld gerade jetzt so gut gebrauchen konnte.
Es gibt so Tage, da fühlt man sich wie in einem falschen Film – da wäre man besser erst gar nicht aufgestanden, sondern im Bett liegen geblieben, denn alles scheint schief zu gehen. So – als ob sich alles gegen einen verschworen hätte und man immer nur der Verlierer ist.
Wenn uns schon die kleinen „Katastrophen“ des Alltags zusetzen, wie ist es dann, wenn wir wirklich schlimme Dinge, Schicksalsschläge erleben müssen? Bei uns oder den Menschen in unserer Nähe.
Sie werden krank, manchmal unheilbar; sie sterben viel zu früh oder nach schwerem Leid.
Es gibt viele Unglücke und Katastrophen. Wir sehen Menschen, die damit nicht fertig werden und daran zerbrechen.
So mancher muss mehr dulden, als er zu tragen imstande ist.
Wo ist da Gott in dem, was wir erleben müssen? Sieht er auch bei uns weg? Schwebt er irgendwo in fernen Regionen und wir sind ihm letztlich egal?
Solche Fragen und Zweifel verbindet die Menschen durch alle Zeiten – sie verbinden uns auch mit den Israeliten und ihrem Propheten Jesaja.
Damals vor 2500 Jahren fühlten sich die Israeliten auch wie in einem falschen Film – und noch schlimmer….
Eigentlich galten sie immer als das erwählte Volk Gottes.
Gott hatte immer eine besondere, innige Verbindung zu seinem Volk – ja er warb regelrecht um dessen Liebe.
Aber irgendwann war man sich in Israel dieser Zuwendung Gottes wohl zu sicher. Man hörte nicht mehr auf seine Weisungen und seinen Willen. Warum auch – es ging ja auch so. Konsequenzen waren nicht spürbar.
Wie Kinder, die die Grenzen der Eltern austesten wollen, haben sie sich immer wieder darüber hinweggesetzt.
Aber dann wurde es Gott wohl zu viel. Er ließ es zu, dass die Babylonier gegen Israel in den Krieg zogen, die Hauptstadt Jerusalem eroberten, den Tempel zerstörten und das Volk in die Gefangenschaft ins ferne Babel abführten.
Jetzt saßen sie schon seit vielen Jahren, ja schon Jahrzehnten in Babylonien. Es ging ihnen zwar nicht wirklich schlecht. Sie konnten ihre eigenen Häuser bauen, ein eigenes Feld bestellen. Auch ihren Glauben durften sie ausüben.
Aber all dies änderte nichts an der Tatsache, dass sie Gefangene waren, weit ab von der Heimat – nicht nur heimat-, sondern auch perspektivlos. Würden sie jemals wieder zurückkehren dürfen?
Und das Schlimmste war: sie fühlten sich verraten. Verraten und verlassen von ihrem Gott, der sie scheinbar so tatenlos ihrem Schicksal überließ.
Gewiss – in Israel damals haben sie sich oft genug wenig um seine Gebote geschert. Aber jetzt: er war doch ihr Gott und sie sein Volk. Es konnte doch nicht sein, dass er einfach sein Antlitz verhüllt und wegsieht, während sie so leiden. Wo blieb denn seine Zuwendung, sein Schutz, seine Liebe, von der er immer wieder gesprochen hatte? Waren es leere Worte gewesen? Sah er überhaupt ihre Lage? War er taub und blind für ihre Sorgen und Nöte?
Oder war er am Ende einfach machtlos?
Über 2.500 Jahre ist es her, dass die Israeliten solche Gedanken quälte.
Und wir heute? – können wir uns wiederfinden in diesen Gedanken und Empfindungen? Ist nicht auch für uns Gottes scheinbare Abwesenheit Teil unserer alltäglichen Erfahrung?
In all unsere Gedanken hinein ertönt der Ruf des heutigen Sonntags: „Freuet euch…“
So will auch Jesaja im Grunde eine wahre Freudenbotschaft verkünden.
Das, was er vorträgt, sind nicht Worte eines fernen Gottes, dem das Schicksal seines Volkes egal wäre. Vielmehr sind es einfühlsame, ja fast beschwörende Worte, die überzeugen wollen.
Man hätte sich vorstellen können, dass er – nach dieser Vorgeschichte – ganz anders spricht.
Wie leicht neige ich selber in solchen Situationen dazu zu sagen: Habe ich doch immer gesagt, dass es dazu kommen muss! Hättet Ihr mal auf mich gehört? Strafe muss sein – die Suppe könnt Ihr euch selber auslöffeln!
Nichts davon in Gottes Worten.
Denn ein kluger Vater, eine kluge Mutter weiß, wie wenig solche Worte nützen, sie machen die Kinder eher noch bockiger. Solche Vorwürfe sind nach hinten gerichtet und damit nicht zukunftsweisend. Wichtiger ist doch die Frage, wie es weitergeht.
Und so nimmt Gott die Vorbehalte und Klagen des Volkes auf: Ja – Ihr habt recht. Ich habe euch verlassen – ich habe mein Angesicht vor Euch verborgen. Ich will Eure Gedanken und Vorbehalte gar nicht in Frage stellen.
Doch neben dieses Bekenntnis setzt er sein großes ABER: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen.“
Wie oft schaue ich nur bis zum Tellerrand und nicht darüber hinaus. Ich sehe das Heute und nicht den Morgen. Sorgen und Nöte nehmen mich so gefangen, dass ich nicht darüber hinaus denken kann. Gott aber sieht weiter.
Jesaja lässt uns hier tief in das Wesen Gottes blicken. Das ist nicht der zornige Rachegott, den manche im Alten Testament zu sehen glauben. Der uns hier bei Jesaja begegnet ist im Grunde der Vater Jesu Christi, der für uns Menschen nur das Beste will.
Gott erscheint eigentlich ganz menschlich: er wendet sich ab, als Israel ihn so enttäuscht. Ihn erfasst Zorn über die Undank-barkeit derjenigen, die er aus der Sklaverei herausgeführt hat.
In Zeiten der Not erinnerten sie sich an ihn und riefen ihn an, ging es ihnen aber gut, so blieben seine Worte ungehört.
Dennoch bleibt er nicht bei seinem berechtigten Zorn stehen, sondern verspricht seine Barmherzigkeit.
Er will nicht zürnen noch schelten, sondern lieben.
Er öffnet uns Menschen ganz weit seine Türen und ruft uns entgegen: Du bist bei mir willkommen.
Gott reicht nicht nur seinem verzweifelten, geschlagenen aber auch schuldig gewordenen Volk neu die Hand zur Versöhnung, sondern nimmt es selber ganz behutsam und schützend in die Hand –so wie man ein kleines Küken mit beiden Handflächen schützt.
„Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“
Wie oft erleben wir Dinge in unserem Leben, die uns als unverrückbar oder völlig unmöglich erscheinen.
Der so sicher scheinende Arbeitsplatz wird dennoch gekündigt. Die Liebe, die gestern noch so groß und untrennbar schien, geht verloren.
Der Mensch, den wir noch so brauchen würden, ist nicht mehr.
Wer oder was kann Halt geben, wenn alles andere ins Wanken gerät.
Gott sagt: Auch wenn das unmöglich scheinende passiert – Berge weichen und Hügel hinfallen – auf mich, Gott ist Verlass, ich schenke dir Halt.
Aber was können diese Worte bewirken?
Bleiben es nicht nur schöne Worte und ist Gott trotzdem verborgen?
Für das Volk Israel blieb die Lage zunächst die gleiche. Es dauerte noch lange Jahre, bis sich etwas änderte. Aber Jesaja hat seinen Hörern neuen Mut gemacht und Hoffnung geschenkt.
Gottes Gnade verspricht nicht, dass wir alle Ziele mühelos erreichen.
Auch Hoffnung beseitigt die Dunkelheiten um mich herum nicht.
Aber Hoffnung ist wie ein Licht in der Dunkelheit. Es schenkt Wärme und zeigt mir ein Ziel.
Hoffnung kann die Dunkelheiten nicht verändern – aber sie verändert mich selbst.
Und so möchte ich mit Jesaja in meinem Leben drauf vertrauen können, dass in allen Unsicherheiten und allem Schweren, das mir im Leben begegnet, einer da ist, der mich hält und mit seiner Liebe umfängt.
Für mich ist das ein tolles Liebesbekenntnis, was Jesaja uns heute morgen zusagt.
Und das Gute daran ist: Genau DU und ICH sind von Gott gemeint. Kann es einen schöneren Grund zur Freude geben?
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Gedicht: „Einen brauchst du auf dieser Welt“

Einen brauchst du auf dieser Welt,
der mit dir weint und lacht,
einen, der unbeirrt zu dir hält,
der deine Probleme zu seinen macht.

Eine, die dir dein Glück nicht neidet,
dich über Schwellen trägt,
eine, die dir Freude bereitet
und helle Spuren legt.

Einen, der deine Träume kennt,
dir deine Schwächen vergibt,
einen, der dich beim Namen nennt
und froh ist, dass es dich gibt.

Eine, der du vertrauen kannst,
die dich wortlos versteht
eine, die mit dir Gespenster bannt,
ehe dein Mut vergeht.

Einen, der dich in die Arme nimmt,
wenn eine Hoffnung zerbricht,
einen, der deine Saiten stimmt,
einen brauchst du als Licht.